Menschennah | Geschichten aus Bethel
Im Rolli kann man gut kicken
Mit großen, strahlenden Augen guckt ein Mädchen um die Ecke. „Hallo! Hier bin ich!“, ruft Bercem und winkt. Die Elfjährige ist ein Wirbelwind. Sie quasselt wie ein Wasserfall, sie singt mit Leidenschaft, und seit Kurzem spielt sie auch gerne Fußball. Das geht gut im Rollstuhl, wenn man die Fußstützen hochklappt, weiß sie. Vor allem mit ihrem neuen E-Rolli, auf den sie stolz ist, denn er kann blinken, hupen und ist richtig schnell. „Ich spüre den Fahrtwind in meinen Haaren“, sagt Bercem fröhlich und dreht ein paar Runden durch die großen Räume im Kinder- und Jugendhospiz Bethel. Für die Elfjährige ist der Aufenthalt in Bethel wie ein Urlaub. „Ich bin schon sehr oft hier gewesen und finde es toll“, erzählt sie.
Doch nicht immer ist Bercem so voller Energie gewesen. „Ganz oft musste sie ins Krankenhaus, meist wegen lebensbedrohlicher Lungenentzündungen“, berichtet ihre Mutter Berivan Is. Die Bielefelderin ist ständig in Sorge um ihr Kind, das an einer angeborenen Muskeldystrophie Typ Ullrich leidet. Das ist eine äußerst seltene Erkrankung, die nicht einmal neun von einer Million Menschen haben. Sie führt zu einer ausgeprägten Muskelschwäche. Besonders beeinträchtigt wird dabei die Lungenfunktion. Nachts muss Bercem deshalb eine Maske tragen, die ihre Atmung unterstützt. Um bei einer Krise sofort eingreifen zu können, ist Tag und Nacht jemand bei der 11-Jährigen. Deshalb ist auch für Bercems Mutter der Aufenthalt im Kinder- und Jugendhospiz Bethel wie ein kleiner Urlaub. „Hier kann ich endlich einmal loslassen und die Verantwortung ganz abgeben“, sagt die 31-jährige alleinerziehende Frau.
Für die meisten Eltern ist es tatsächlich das Wichtigste, im Hospiz endlich einmal durchzuschlafen. Denn ihre Kinder werden gut betreut. Von Menschen, die dafür bestens qualifiziert sind. Auf der unteren Etage gibt es Zimmer für die Kinder und Jugendlichen, die eine lebensverkürzende Krankheit haben. Und Spielräume. Therapieangebote. Ein gemütliches Kaminzimmer und eine große offene Küche. Im Obergeschoss wohnen die Eltern und die Geschwisterkinder wie in einem schönen Hotel. Alles dreht sich darum, Familien zu entlasten. Denn sie müssen Kraft schöpfen für ihren anstrengenden Alltag. „Ich hatte erst ziemlich Angst vor dem Kinderhospiz“, erinnert sich Bercems Mutter. „Ich dachte, es sei wie eine Klinik, und es gehe nur ums Sterben. Aber es geht ums Leben. Hier wird viel gelacht. Und es ist schön, die anderen Eltern kennen zu lernen.“
Spielen. Quatsch machen. Wettrennen fahren. Bercem gefällt das. Sie denkt positiv, obwohl sie ganz genau weiß, dass ihre Krankheit fortschreitet. Ihre Muskeln bauen weiter ab. Irgendwann könnte ihr selbst die Kraft fehlen, die elektrische Steuerung des Rollstuhls mit den Fingern zu bedienen. „Ach, die Technik ist schon weit. Dann geht das eben über meine Augenbewegungen“, sagt sie. Und hat Träume: „Am liebsten möchte ich ein Rockstar werden. Ich kann nämlich total gut singen.“ Los geht’s: beim Karaoke im Kinderhospiz …
Text: Heike Lepkojis | Foto: Christian Weische
Diese Geschichte einfach gesprochen
Bercem ist elf und hat eine schlimme Krankheit. Sie war schon oft im Kinder- und Jugendhospiz Bethel. Für sie ist das wie Urlaub. Denn dort kann man prima spielen und Quatsch mit anderen Kindern machen. Die Eltern werden wie in einem Hotel betreut. Geschwisterkinder dürfen mit. Im Hospiz wird viel gelacht. Auch wenn der Tod immer eine Rolle spielt.
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Über die Einrichtung
Kinder- und Jugendhospiz Bethel
Remterweg 55
33617 Bielefeld
Angebote & Leistungen
Das Kinder- und Jugendhospiz Bethel bietet Kindern und Jugendlichen mit einer lebensverkürzenden Erkrankung einen geschützten Rahmen, in dem sie gemeinsam mit ihren Familien Zeit verbringen können. Auf eigene Weise und in eigenem Tempo. Ziel ist es, den lebensverkürzend erkrankten Kindern und Jugendlichen mit ihren Familien eine lebenswerte Zeit zu ermöglichen.