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Long-Covid-Ambulanz für Kinder und Jugendliche
Wenn die „Tagesbatterie“ nur 30 Prozent hergibt
„Ganze drei Stunden habe ich zum Lernen von nur 18 Vokabeln gebraucht. Unglaublich“, erzählt der Bielefelder Gymnasiast Felix Hartmann. Für den 13-Jährigen war die Schule lange Zeit nicht zu schaffen. Nach einer Corona-Infektion im Februar litt er monatelang unter Konzentrationsschwäche, Schwindelgefühlen, Kopfschmerzen, eingeschränkter Motorik und starker Müdigkeit. Das ist nun überstanden. Durch die Behandlung in der Long-Covid-Ambulanz im Kinderzentrum Bethel ist er mittlerweile symptomfrei.
Wie Felix Hartmann geht es vielen Kindern und Jugendlichen nach einer Corona-Infektion. „Der Bedarf an Diagnostik und Therapie ist groß“, sagt Chefarzt Prof. Dr. Eckard Hamelmann. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen seien massiv von Problemen belastet, sei es durch die aktuellen Symptome oder weil sie in ihren Aktivitäten beeinträchtigt sind. „Dadurch kommt es zu Einschränkungen der Lebensqualität, verbunden mit enormen psychischen Belastungen“, so Prof. Hamelmann.
Um den betroffenen Kindern und ihren Angehörigen die richtigen Hilfen anbieten zu können, ist eine aufwändige interdisziplinäre Anamnese und Diagnostik notwendig. Arztpraxen hätten oft nicht das spezifische Wissen dafür, informieren Kinderarzt Jeremy Schmidt und Jugendpsychotherapeutin Juliane Venghaus. Wichtig sei die Differenzierung und Abgrenzung zu anderen möglichen Erkrankungen als Ursache für die gezeigten Symptome. Die klare Unterscheidung von psychischen und somatischen Ursachen ist schwierig.
Etwa ein Dutzend Long-Covid-Patienten wird monatlich in der im April eröffneten Ambulanz behandelt. Sie kommen mit den unterschiedlichsten Problemen. Viele leiden an Erschöpfung. „Die sind wirklich platt und darum in ihrem Alltag massiv eingeschränkt“, berichtet Jeremy Schmidt. Weitere Symptome seien Lungenprobleme, Glieder- und Gelenkschmerzen, Bauchschmerzen und neurologische Beeinträchtigungen, wie Konzentrations- und Gedächtnisprobleme.
Ein wichtiger Bestandteil der Therapien sei die Belastungssteuerung, sagt Jeremy Schmidt. Gemeinsam mit den Patienten werde mit Hilfe eines Symptome-Tagebuchs ermittelt, welche Auswirkungen bestimmte Belastungen in ihrem Alltag haben. „Für die richtige Belastungssteuerung ist es wichtig, zu unterscheiden zwischen Patienten, die eher depressiv verstimmt sind und die durch eine Steigerung der täglichen Aktivitäten langsam wieder zurück in den Alltag geführt werden sollen, und Patienten mit einer Belastungsintoleranz, die bewusst heruntergebracht werden müssen“, erklärt Prof. Hamelmann.
Im Fall einer Belastungsintoleranz steht das Konzept des Schritthaltens mit den eigenen Energiereserven, das so genannte „Pacing“, im Mittelpunkt. „Einige Patienten haben beispielweise nur 30 Prozent ihrer gewohnten Energie. Sie müssen lernen, mit dieser Batterieleistung einen ganzen Tag zu bewältigen“, sagt Jeremy Schmidt. Später werde die Belastung behutsam und systematisch gesteigert.