Pressemitteilung
Erfolgreiches Betheler Therapiekonzept im häuslichen Umfeld
„Da steht niemand im weißen Kittel vor den Leuten“
Bielefeld-Bethel. „Stellen Sie sich vor, Sie sind psychisch krank und haben ein kleines Kind - wo fühlen Sie sich wohler? In vertrauter Umgebung oder in einer fremden Einrichtung?“, stellt Bernd Niermann die Frage, die viele Patientinnen und Patienten mit Ersterem beantworten. Der 59-Jährige ist Leiter der Stationsäquivalenten Behandlung (StäB) im Haus Gilead IV des Evangelischen Klinikums Bethel. „Wir behandeln genau wie stationäre Kliniken Betroffene mit Psychosen, depressiven Erkrankungen sowie Angst- und Zwangsstörungen – nur eben im häuslichen Umfeld“, erklärt der Stationsleiter, der in dem Angebot eine erfolgreiche Ergänzung zur Behandlung in psychiatrischen Krankenhäusern sieht.
Ein Erfolgsfaktor des Konzeptes liegt in der Niedrigschwelligkeit bei Hausbesuchen: „Da steht niemand im weißen Kittel vor den Leuten, sondern jemand, der an der Tür fragt, ob er die Schuhe ausziehen soll“, bestätigt Oberärztin Almut Hübenthal, die jeden Patienten und jede Patientin mindestens einmal pro Woche besucht. So entstehe nicht nur schneller eine Vertrauensbasis, auch die Angehörigen könnten in die Therapiesitzungen einbezogen werden.
Die Voraussetzungen für die Stationsäquivalente Behandlung sind die gleichen wie für die stationäre: Auf eine psychiatrische Diagnose folgt ein vertrauensvolles Vorgespräch, in dem das Ziel der Behandlung geklärt wird. Außerdem darf ein Patient nicht suizidgefährdet sein und muss einen festen Wohnsitz in Bielefeld haben. „Alles, was über die Stadtgrenzen hinausgeht, sprengt unsere organisatorischen und logistischen Möglichkeiten“, sagt Bernd Niermann, der mit seinem 16-köpfigen Team rund 200 Patientinnen und Patienten im Jahr behandelt. Täglich werden diese je nach Behandlungskonzept von einem Psychologen, Genesungsbegleiter, einer Ergotherapeutin, Sozialarbeiterin oder einer Pflegekraft zu Hause besucht.
Einer dieser Mitarbeitenden ist EX-IN-Genesungsbegleiter Dirk Hamann. „EX-IN“ steht für den englischen Begriff „Experienced Involvement“, also die Beteiligung Erfahrener. Als ehemals depressiv Erkrankter weiß der 56-Jährige nur zu gut, wovon er spricht, wenn er Patientinnen und Patienten zu Hause besucht. „Die Menschen reden offener und bauen viel schneller Vertrauen zu mir auf, wenn sie hören, dass ich selbst schon einmal psychisch erkrankt war.“
Diese Erfahrung hat ihm auch bei den täglichen Gesprächen mit Stefan Hausmann* geholfen: Ausgelöst durch eine außergewöhnliche berufliche Belastung entwickelte sich bei der Führungskraft mit Personalverantwortung eine Manie, die ihn alle Frühwarnsysteme des Körpers ignorieren ließ und schließlich in psychiatrische Behandlung brachte.
Nach insgesamt zwei Monaten stationärer und anschließender ambulanter Behandlung geht es Stefan Hausmann mittlerweile wieder deutlich besser. Während seiner Therapie lernte er das kombinierte Angebot der Stationsäquivalenten Behandlung sehr zu schätzen. „Die ersten Wochen in einer stationären Einrichtung haben mir gutgetan, weil ich zu Hause zu sehr an meine Arbeit denken musste und auch die Beziehung zu meiner Frau darunter gelitten hat“, erzählt Stefan Hausmann. Nach der Zeit in der Klinik habe er sich aber wieder auf zu Hause gefreut und durch die täglichen Gesprächsstunden mit Dirk Hamann den Weg zurück in den Alltag gefunden.
Für die Zukunft wünscht sich Stefan Hausmann, dass Personen mit psychischen Erkrankungen nicht mehr stigmatisiert werden: „Das StäB-Team behandelt Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Wir müssen eine Sensibilität dafür entwickeln, dass psychische Erkrankungen jeden treffen können.“
*Name auf Wunsch geändert
Bildzeile:
- Im Rahmen der Stationsäquivalenten Behandlung besucht Bethel-Mitarbeiter Dirk Hamann Personen mit psychischen Erkrankungen in ihrer eigenen Wohnung.
Foto: Matthias Cremer