Pressemitteilung

Neues Modellprojekt "BiSi" schließt Angebotslücke

Arbeitschancen für psychisch erkrankte Menschen

Bielefeld-Bethel. Philodendron, Monstera und Yucca-Palme präsentieren sich im Garten- und Zoofachgeschäft Riemeier in der Bielefelder Innenstadt im makellosen Grün. Kein Wunder. Rebecca Herbers pflegt sie liebevoll. „Ich bin pflanzenbegeistert. Ein Grund mehr, warum die Arbeit hier sehr gut zu mir passt“, erzählt die 28-Jährige beim Gießen.

Viel wichtiger als ihre Botanik-Leidenschaft auszuleben sei es, dass sie endlich eine Beschäftigung gefunden habe, die sie nicht überfordere, so Rebecca Herbers. Sie leidet an einer psychischen Erkrankung und ist eingeschränkt belastbar. Bei Riemeier könne sie flexibel über ihre Arbeitszeit entscheiden, je nach tagesaktueller Verfassung. „Zurzeit bin ich hier zweimal in der Woche für jeweils etwa eineinhalb Stunden“, berichtet sie.

Ermöglicht wird Rebecca Herbers Arbeitsplatz durch das Modellprojekt „Beschäftigung im Sozialraum inklusiv“ (BiSi). Es wurde vom Gemeindepsychiatrischen Verbund (GPV) in Bielefeld entwickelt und läuft seit April 2022. Projektziel ist es, Menschen mit einer psychischen Erkrankung soziale Kontakte, Zugang zu einer regelmäßigen Beschäftigung sowie einen Zuverdienst zu ermöglichen. Das BiSi-Team kontaktiert gezielt Arbeitsgeber für eine mögliche Kooperation. Anschließend lernen sich Teilnehmende und Unternehmen kennen. Nach einer Erprobungsphase wird eine regelmäßige Beschäftigung vereinbart.

„Für Menschen, die über Jahre keinerlei Arbeit, Beschäftigung oder tagesstrukturierender Tätigkeit nachgegangen sind, ist ‚BiSi‘ ein Riesenschritt“, sagt Projektleiterin Christine Schäfer von Bethel.regional – einem Unternehmensbereich der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Das Projekt wird von Bethel.regional durchgeführt.

Nach Auffassung aller Beteiligten sollte das Modell eine Selbstverständlichkeit sein. Denn psychisch erkrankte Menschen, die als erwerbsfähig gelten, haben einen rechtlichen Anspruch auf Beschäftigung im Sinne Sozialer Teilhabe. „BiSi füllt eine Angebotslücke, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe bislang nicht refinanziert“, so Christine Schäfer.

„Sozialrechtlich betrachtet ist das ein Unding“, bemängelt Diplom-Psychologe Rüdiger Klein, der das Projekt als Schnittstelle zum GPV begleitet. „Es fehlt ein flächendeckendes Angebot und eine bundesweit einheitliche Anwendung der bestehenden sozialrechtlichen Grundlagen.“

Der Bedarf jedenfalls ist immens: In Bielefeld ist gut die Hälfte aller Menschen mit einer psychischen oder Suchterkrankung im Ambulant Betreuten Wohnen ohne Beschäftigung und hat keine Tagesstruktur – was das Krankheitsbild in der Regel verstärkt. Rebecca Herbers kann das bestätigen: „Keine Tagesstruktur zu haben, hat mein Krankheitsbild verschlechtert. Und ohne ‚BiSi‘ hätte ich keinen geeigneten Beschäftigungsplatz gefunden.“

Einige hunderte Meter vom Riemeier-Fachgeschäft entfernt im Kunstforum Stenner ist ein anderer BiSi-Teilnehmer damit beschäftigt, ausgestellte Werke zu bewachen: Daniel Gäbler hat bereits einige Jobs ausprobiert. Die Überforderung war jedes Mal zu groß. „Es war zu laut, zu wuselig, zu schnell … Jetzt bin hier gelandet, und alles ist gut. Ich kann selbstständig planen, wann und wie lange ich hier bin.“

Bei einer Beschäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung beträgt die Mindestarbeitszeit pro Woche 15 Stunden. Das sei eine zu hohe Hürde für viele Menschen mit einer psychischen Erkrankung, so Rüdiger Klein. Bei „BiSi“ sei auch eine geringe Stundenzahl möglich.

Seit Projektbeginn konnten bereits 26 von insgesamt 30 Teilnehmenden in eine Beschäftigung vermittelt werden. Finanziert wird das Projekt von der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW, der Stadt Bielefeld und von Bethel.regional. Das BiSi-Team steht allen Teilnehmende und Mitwirkenden beratend zur Seite. Für die kooperierenden Unternehmen, darunter Einzelhändler, Gärtnereien und Kitas, entstehen keine Kosten. Riemeier-Unternehmenschefin Nicole Beckmann ist zufrieden mit den bisherigen Erfahrungen: „Wir wollten auch für uns als Unternehmen herausfinden, ob das Modell funktioniert – und das tut es.“

Bildunterschriften:

  • Bild 1: Rebecca Herbers (l.) kann im Gartenfachgeschäft von Riemeier-Unternehmensleiterin Nicole Beckmann ohne jeglichen Druck ihren „grünen Daumen“ ausleben. Foto: Christian Weische
  • Bild 2: Daniel Gäbler hat im Kunstforum Stenner eine Beschäftigung gefunden, die ihn nicht überfordert. Foto: Matthias Cremer
  • Bild 3: Auf ein dauerhaftes bundesweites Angebot nach dem Vorbild des BiSi-Projektes hoffen (v. l.) Christine Schäfer, Bethel.regional-Geschäftsführerin Sandra Waters sowie Roxanne Tiemann und Jennifer Röder vom BiSi-Team. Foto: Matthias Cremer