Zwangsverpflichtet

Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter(-innen) in Bethel und Lobetal 1939-1945.

Während des Zweiten Weltkriegs haben auch die v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel und die Hoffnungstaler Anstalten Lobetal bei Berlin zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie Kriegsgefangene in ihren Einrichtungen eingesetzt. Als erste diakonische Einrichtung in Deutschland legt Bethel jetzt diese Geschichte mit all ihren Facetten in einem wissenschaftlich erarbeiteten Aufsatzband dar. - Bisher sind lediglich Bearbeitungen des Themas mit regionalem Zugriff erfolgt; z. B. Uwe Kaminsky "Dienen unter Zwang" zu Kirche und Diakonie im Rheinland. 

Der Band "Zwangsverpflichtet" beschäftigt sich einleitend zum besseren Verständnis der Problematik auch mit dem Verhältnis der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel zum Nationalsozialismus. Im Folgenden wird der Einsatz von zivilen Zwangsarbeitern in den einzelnen Einrichtungen beschrieben. Dem Einsatz von Kriegsgefangenen in den verschiedenen Ortschaften der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel und in deren Einrichtungen ist ein weiteres Kapitel gewidmet. Den Aufsätzen schließt sich eine umfangreiche Sammlung von Dokumenten an.

Zwangsarbeiter/Kriegsgefangene wurden in Bethel hauptsächlich in der Landwirtschaft eingesetzt, an zweiter Stelle rangieren die Handwerksbetriebe, an dritter die Hauswirtschaft und ein vierter Einsatzbereich ist der Pflegedienst. Diese Reihenfolge ist auch eine quantitative. Insgesamt gab es etwa 180 bis 200 Einsatzstellen für Kriegsgefangene und etwa 150 bis 180 Einsatzstellen für zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter; nach den jetzt vorliegenden Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass gleichzeitig über 300 Menschen in Bethel zwangsverpflichtet waren. Nachdem, was heute erkennbar ist dürften insgesamt über 1000 Menschen zwischen 1939 und 1945 von Zwangsarbeit in den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel betroffen gewesen sein.

Inzwischen sind insgesamt 366 Menschen namentlich bekannt, die in Einrichtungen der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel Zwangsarbeit geleistet haben (154 in der Ortschaft Bethel, 113 in der Ortschaft Freistatt, 91 in der Ortschaft Eckardtsheim und 6 auf dem Heimathof in der Senne). Zeitweilig bildeten Zwangsverpflichtete bis zu zehn Prozent der Mitarbeiterschaft Bethels, anders ließen sich nach damaliger Auffassung der Betrieb der Einrichtungen und die Betreuung der Menschen mit Behinderung nicht gewährleisten. Dass solche Ausnutzung von menschlicher Arbeitskraft im Zusammenhang eines rassistischen Raubkrieges Unrecht sein könnte, wurde nicht gesehen. Extremformen der Zwangsarbeit, wie der Einsatz von Häftlingen aus Konzentrationslagern oder von jüdischen Gefangenen, oft verbunden mit Vernichtung durch Arbeit, gab es in den Einrichtungen Bethels nicht.

Bereits im September 2000 hatten die v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel erste Forschungserkenntnisse zur Zwangsarbeit in Bethel veröffentlicht. Auslöser für die Beschäftigung mit diesem historischen Kapitel war die öffentliche Diskussion um die bundesdeutsche Stiftung zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", die im Frühjahr 2000 durch die parlamentarischen Beratungen im Bundestag angestoßen wurden. Die Errichtung der Stiftung wurde im Juni 2000 beschlossen. Die ersten Erkenntnisse zur Situation in Bethel waren Anlass für den Vorstand der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel die Forschungsstelle für Diakonie- und Sozialgeschichte der Kirchlichen Hochschule Bethel mit der genaueren Erforschung und der Zusammenstellung der Ergebnisse zu beauftragen.

Weil sich der Beginn der Entschädigung von zivilen Zwangsarbeitern durch die Bundesstiftung lange verzögerte und in der Betheler Mitarbeiterschaft der Wunsch bestand, direkten Kontakt zu Frauen und Männern aufzunehmen, die in Deutschland zwangsverpflichtet waren, nutzte Bethel seine bestehenden Kontakte nach Weißrussland um Begegnung und Versöhnung voranzubringen. So erhalten unter anderem zurzeit 70 ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Belarus monatlich eine finanzielle Unterstützung aus Bethel. Diese Hilfe geschieht stellvertretend, weil es bisher nicht möglich war ehemals in Bethel zur Arbeit zwangsverpflichtete Menschen zu identifizieren. 

Matthias Benad und Regina Mentner (Hrsg.). Zwangsverpflichtet. Kriegsgefangene und zivile Zwangsarbeiter(-innen) in Bethel und Lobetal 1939-1945. 288 Seiten, 12 Bildseiten. ISBN 3-935972-03-2 (Bethel-Verlag). ISBN 3-89534-453-2 (Verlag für Regionalgeschichte). 12,40 Euro