Menschennah | Geschichten aus Bethel

Teddybären, Tulpen und Ikonen

Sein neues Werk, die Ikone „Maria mit Jesuskind“, soll makellos schön werden. Darum arbeitet Mykola Kryshtafovykh hochkonzentriert. Langsam, aber äußerst präzise sticht der 39-Jährige die Sticknadel von oben durch den gespannten Stoff. Mit derselben Hand nimmt er die Nadel auf der Unterseite des Stickrahmens wieder auf und zieht das Garn hindurch. Das Bild – eine feinteilige Perlenstickerei – nimmt Gestalt an.

Geschickt und nur mit einer Hand stickt Mykola Kryshtafovykh eine Ikone.
Geschickt und nur mit einer Hand stickt Mykola Kryshtafovykh eine Ikone.

Mykola Kryshtafovykh kann beim Sticken ausschließlich seine linke Hand nutzen. Die andere ist aufgrund einer Nervenlähmung motorisch stark eingeschränkt und ruht auf seinem Schoß. Das hindert den geistig beeinträchtigten Bewohner des Hauses Ebenezer in Bielefeld-Bethel aber nicht daran, mit viel Ehrgeiz an seinen Bildern zu arbeiten.

Die Stickerei ist die große Leidenschaft von Mykola Kryshtafovykh, genauso wie von Vitalli Stetsun, der ebenfalls im Haus Ebenezer betreut wird. In der Einrichtung leben insgesamt rund 80 geflüchtete ukrainische Kinder, Jugendliche und Männer mit Behinderungen. Viele von ihnen nutzen wie Mykola Kryshtafovykh und Vitalli Stetsun ein Kreativangebot, das zweimal in der Woche stattfindet. Bei Honorarkraft Paul Schulz wird vor allem viel gezeichnet und gemalt. Strenge Vorgaben gibt es aber nicht. Wer will, kann auch ganz anders gestalterisch tätig sein – und zum Beispiel sticken.

Für Mykola Kryshtafovykh ist das Kreativangebot eine wichtige Abwechslung, wenn er nach Feierabend aus der Betheler Werkstatt Basan zurück ist. „Ich brauche eine Aufgabe, eine Beschäftigung“, sagt er. Für ihn war es sehr belastend, als er bei der Flucht aus der Ukraine seinen Stickrahmen in dem Wohnheim in der Nähe von Kiew zurücklassen musste. Umso glücklicher war er, als er von einer Mitarbeiterin einen neuen Rahmen geschenkt bekommen habe. Die Ikone, an der er aktuell arbeitet, ist sein erstes Bild, das in Deutschland entsteht. Aufgrund seiner Beeinträchtigung braucht Mykola Kryshtafovykh viel Zeit für seine Stickerei. Unterstützung will er dennoch nicht. „Er ist sehr ehrgeizig und besteht auf Selbstbestimmung und Eigenständigkeit“, so Paul Schulz.

„Beim Sticken komme ich auf andere Gedanken“, sagt Vitalli Stetsun.
„Beim Sticken komme ich auf andere Gedanken“, sagt Vitalli Stetsun.

Nicht weniger leidenschaftlich ist der 22-jährige Vitalli Stetsun in die Stickerei vertieft. Aktuell stickt er eine rote Rose. Die Vorlage für die Abbildung hat Paul Schulz für ihn ausgewählt. „Ich habe keine besonderen Vorlieben für meine Motive“, erzählt Vitalli Stetsun und deutet auf eine Auswahl seiner Werke: Bienen, Erdbeeren, Tulpen und einen Teddybären in Latzhose. Eine Besonderheit fällt ihm dann aber doch noch ein: „Dinge, die mich an meine Heimat erinnern, wie bestimmte Blumen, die mag ich sehr!“

Vitalli Stetsun hat die Stickerei in einer Werkstatt in der Ukraine gelernt. Dieses Kunsthandwerk falle ihm nicht schwer, betont er. Wie Mitbewohner Mykola Kryshtafovykh nutzt er das Sticken zur Ablenkung. „Es ist eine gute Möglichkeit, sich zu entspannen und auf andere Gedanken zu kommen“, sagt er. Die Stickerei habe ihm geholfen, kein Heimweh mehr zu empfinden. „Inzwischen fühle ich mich hier sehr wohl“, betont der junge Mann, der in der Betheler Werkstatt Grabe arbeitet.

Text: Gunnar Kreutner

Fotos: Thomas Richter

 

Diese Geschichte einfach gesprochen

Mykola Kryshtafovykh und Vitalli Stetsun sticken sehr gerne. Beide werden im Haus Ebenezer in Bethel betreut. In der Einrichtung leben insgesamt rund 80 geflüchtete ukrainische Kinder, Jugendliche und Männer mit Behinderungen. Alle sind aus der Ukraine geflüchtet, weil dort Krieg ist.

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