Bethel im Nationalsozialismus

Hat Anstaltsleiter Friedrich von Bodelschwingh d.J. Widerstand geleistet?

Friedrich von Bodelschwingh d.J. und Pastor Gerhard Braune
Friedrich von Bodelschwingh d.J. (l.) und Pastor Gerhard Braune

Bodelschwinghs Handeln wird aus heutiger Sicht ambivalent gesehen. Man spricht auch von verzögerndem Widerstand.

Seit Ende der 1980er Jahre forschen Historiker und Historikerinnen zur Rolle Friedrich von Bodelschwinghs im Nationalsozialismus. Als Anstaltsleiter trug er die Verantwortung für eine Einrichtung mit über 5000 Pflege- und Betreuungsplätzen. Bodelschwingh stellte sich aus christlichen Gründen gegen die „Euthanasie“. Er leistete jedoch keinen lautstarken Protest, sondern setzte auf seine kommunikativen Fähigkeiten. In Briefen an Behörden und Parteifunktionäre und in Gesprächen mit führenden Personen des NS-Staates kritisierte Bodelschwingh die Krankentötungen. Gleiches gilt für Gerhard Braune, den Vorsteher der mit Bethel verbundenen Hoffnungstaler Anstalten in Lobetal bei Berlin. Im Juli 1940 hatte Braune in enger Abstimmung mit Bodelschwingh eine Denkschrift verfasst, in der er Details zu den Krankenmorden im Deutschen Reich benennt, die bis dahin nur gemutmaßt wurden.  

Bodelschwingh verweigerte außerdem bewusst das Ausfüllen der Meldebögen der „Aktion T4“. Doch im Vorfeld des Besuchs der „T4-Ärztekommission“ befürwortete er eine Vorkategorisierung aller Patientinnen und Patienten in Bethel. Die Anstaltsärzte untersuchten alle Männer, Frauen und Kinder und teilten sie in sieben Kategorien ein, wobei man davon ausgehen musste, dass die drei ersten Kategorien der „Euthanasie“ zum Opfer fallen würden – ein Versuch Bodelschwinghs eine willkürliche Selektion zu umgehen und Abtransporte zu verhindern. Doch damit vollzog er eine schwierige Gradwanderung, die ihm später den Vorwurf einer teilweisen Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Staat einbrachte.

 

Literatur

Matthias Benad, „…unter Einsatz aller unserer Kräfte Anwälte unserer Kranken sein.“ Bethel und die nationalsozialistischen Krankenmorde – ein Überblick über den Stand der Forschung, 2015. Zur PDF

Jan Cantow, Pastor Paul Gerhard Braune. Im „Haus-Gefängnis“ der Gestapo-Zentrale in Berlin. Kurzbiographie und Dokumente, Berlin 2012.