Kurz nachgefragt
Sarah Baum ist Vorsitzende des Gesamtwerkstattrats von proWerk. Der Gesamtwerkstattrat ist die Interessenvertretung der Beschäftigten. Er hat Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte.
Frau Baum, warum muss es Werkstätten für behinderte Menschen geben?
Ganz viele Menschen sind aufgrund ihrer Behinderungen oder psychischen Erkrankungen nicht in der Lage, auf dem ersten Arbeitsmarkt zu arbeiten. In Werkstätten werden sie gefördert. Ohne Werkstätten hätten sie keine Tagesstruktur und kein Sozialleben. Viele würden vereinsamen, wenn sie nur zuhause wären. Deshalb finde ich besonders wichtig, dass auch Menschen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf die Möglichkeit haben, in die Werkstatt zu kommen. Der Ortswechsel tut gut.
Dann steht vor allem die soziale Teilhabe im Vordergrund?
Ja, und natürlich auch die Teilhabe am Arbeitsleben. Für ganz viele ist der Gedanke "Ich arbeite" sehr wichtig. Die Beschäftigten sind motiviert und stolz, dass sie etwas leisten und Geld verdienen, auch wenn es nicht viel ist. Der Arbeits- und Fleißgedanke ist bei den meisten stark verankert. Auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf wissen, dass sie Geld bekommen, und sind motiviert, sich an Arbeitsprozessen zu beteiligen.
WfbM sind häufig in der Kritik. Wie stehen Sie dazu?
Leider wird in der Presse zurzeit so negativ von WfbM gesprochen: Es gebe zu wenig Geld, wir würden ausgebeutet und so weiter. Die meisten Kritikerinnen und Kritiker verstehen nicht, was mit vielen Menschen passieren würde, wenn es keine Werkstätten mehr gäbe und die Menschen nur zuhause säßen. In England sind die Werkstätten zum Teil abgeschafft worden, aber nicht alle finden Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt. Da haben sich ganz viele psychisch behinderte Menschen umgebracht.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der WfbM?
Ich wünsche mir, dass die WfbM keine Sonderwelt mehr ist. Viel besser fände ich, wenn man die Werkstätten als Teil des Arbeitsmarktes wahrnehmen würde. Momentan unterscheidet man zwischen erstem, zweitem und drittem Arbeitsmarkt. Auf dem einen sind die gesunden, auf dem anderen die kranken und nicht so leistungsfähigen Menschen – so sehen das viele. Diese extreme Trennung muss weg, zumindest erst einmal gedanklich.
Interview: Christina Heitkämper | Foto: Thomas Richter
In proWerk engagieren sich 53 Frauen und Männer in Werkstatträten. Sie vertreten auf allen Leitungsebenen die Interessen der Beschäftigten. Ihre Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass Gesetze, Regeln und die Werkstattverträge eingehalten werden. Mehr Informationen zum Thema Werkstattrat gibt es hier