Menschennah | Geschichten aus Bethel

„Der ‚Wendepunkt‘ ist ein Teil meines Lebens“

„Irgendwann habe ich auf nichts und niemanden mehr gehört“, sagt Marvin Schmäck. „Und als es keine andere Option mehr für mich gab, kam der ,Wendepunkt‘.“ So heißt die stationäre Jugendhilfeeinrichtung von Bethels Hoffnungstaler Stiftung Lobetal, in der Marvin mit 12 Jahren aufgenommen wurde. Heute, 16 Jahre später, ist er ausgelernter Erzieher – und als Mitarbeiter in den „Wendepunkt“ zurückgekehrt.

Bis hierhin war es ein weiter Weg – der für Marvin Schmäck vor allem als Jugendlicher nicht einfach war. „Ich komme aus einem guten Elternhaus“, betont er. Dennoch geriet Marvin in jungen Jahren auf die schiefe Bahn. Problematisch war vor allem sein Umgang abseits von zu Hause auf den Straßen Berlin-Marzahns: „Es gab dort viel Kriminalität, viel Negatives. Es passiert schnell, dass man an die falschen Leute gerät und mit Drogen in Kontakt kommt“, so der heute 28-Jährige. „Cannabis kam bei mir dann ziemlich früh. Ich glaube, da war ich elf“, erinnert er sich. „Dann kam die Beschaffungskriminalität; Raubdelikte, klauen gehen, die Dinge weiterverkaufen.“ Zur Schule ging Marvin nicht mehr.

»Ich habe gelernt, die Dinge, die ich tue, zu hinterfragen.«
Marvin Schmäck

Seine Eltern erkannten bald, dass ihr Sohn Probleme hat – und zogen mit ihm aus der Stadt aufs Land. Doch der Umzug brachte keine Besserung: „Ich habe nicht mehr zu Hause geschlafen, nur noch gemacht, was ich wollte“, sagt Marvin. Auch die Straftaten hörten nicht auf. „Die Anzeigen flatterten wöchentlich herein. Der typische Tagesablauf war: aufstehen, ‘rausgehen, rauchen, was vom Vortag übriggeblieben war. Neues Zeug besorgen, mit den Jungs abhängen, Graffitis sprühen. Tagein, tagaus.“ Streetworker, Jugendamt, eine Therapeutin, seine Eltern – alle suchten für Marvin nach einem Ausweg aus den Drogen und der Kriminalität. „Es waren so viele Leute mit am Tisch. Und irgendwann hieß es dann: ‚Wendepunkt‘, geschlossene Psychiatrie oder Jugendhaft.“ Marvin entschied sich für den „Wendepunkt“.

Er blieb für rund ein Jahr. „Ich habe hier viel gelernt“, sagt er heute rückblickend. Vor allem die Erinnerungen an den wertschätzenden Umgang mit den Jugendlichen sind geblieben. „Und auch, wenn es nur ein Jahr war, haben mir die Mitarbeitenden im ‚Wendepunkt‘ viel mit auf den Weg gegeben“, sagt Marvin. „Ich habe gelernt, die Dinge, die ich tue, zu hinterfragen. Und ich habe gelernt, dass es Regeln gibt, die Konsequenzen nach sich ziehen, wenn man sie nicht befolgt.“ Nach einem Jahr im „Wendepunkt“ wechselte Marvin in ein anderes Jugendhilfeangebot, über das er zunächst mehrere Monate auf einem Bauernhof in der Türkei arbeitete. Daran schloss sich ein weiterer vollstationärer Aufenthalt in Deutschland an. Marvin machte seinen Schulabschluss. „Das war Auflage vom Gericht“, sagt er. „Dann bin ich ‘raus und habe einige Jahre lang in der Firma meines Vaters mitgearbeitet.“

„Dann kam irgendwann der Moment, an dem ich mich gefragt habe, was ich langfristig in meinem Leben machen möchte. Und ich wollte unbedingt mit Menschen arbeiten“, sagt Marvin. „Viele Jahre lang haben sich andere die Zähne an mir ausgebissen, viel Zeit investiert, sich den Mund fusselig geredet und versucht, mir meinen Weg zu ebnen. Das war eine Menge Arbeit und hat sie sicher viel Durchhaltevermögen gekostet. Deshalb wollte ich etwas zurückgeben.“ In der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal absolvierte Marvin eine Ausbildung zum Sozialassistenten und schloss die Ausbildung zum Erzieher an.

Über ein Praktikum kam Marvin zurück in den „Wendepunkt“. Und dieses Mal war er gekommen, um zu bleiben: Mit dem Abschluss als Erzieher ist Marvin Schmäck fester Teil des Teams geworden. „Der ‚Wendepunkt‘ ist ein Teil meines Lebens“, sagt er. „Die Arbeit mit den Kids macht mir Spaß. Es ist schön, zu sehen, wie sie sich weiterentwickeln. Ich freue mich, wenn ich morgens zur Arbeit fahre. Und den Jugendlichen hier etwas für ihr Leben mitgeben zu können treibt mich an.“

Text: Marten Siegmann | Fotos: Frederic Schweizer

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Marvin Schmäck hat seine Ausbildung zum Erzieher abgeschlossen. Heute arbeitet er im Haus Wendepunkt im brandenburgischen Rüdnitz. Als Jugendlicher hatte er Probleme mit Drogen und Kriminalität. Damals wurde ihm im Wendepunkt geholfen. Deshalb hat sich Marvin entschieden, selbst im Wendepunkt zu arbeiten und nun anderen zu helfen.

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Kontakt

Wendepunkt
Dorfstraße 31
16321 Rüdnitz
03338-66-621

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Angebote & Leistungen

Wendepunkt ist eine intensiv-therapeutische Wohngruppe für 18 Jugendliche zwischen 12 und 21 Jahren, die von ihrem Lebensweg ein gutes Stück abgekommen sind, zu fallen drohen, am Scheideweg stehen und Hilfe benötigen, um ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. 

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