Brücken bauen für die Ärmsten

Zwei Männer sitzen am Tisch und trinken Kaffee

„Mit zwölf hab‘ ich zum ersten Mal Heroin genommen“, sagt Giovanni D’Esposito. Seine Hände umfassen eine Kaffeetasse, er spricht ganz leise. Jens Cordes versteht trotzdem jedes Wort, weil er direkt neben ihm sitzt. Menschen wie Giovanni D’Esposito zuzuhören und für sie da zu sein ist sein Beruf. Jens Cordes ist Erzieher und Fachkraft in Bethels Kava, einem Treffpunkt für Menschen in besonderen Lebenslagen in Bielefeld.

Kava ist eine Abkürzung für die Kavalleriestraße im Stadtzentrum. Das Haus Nummer 18 ist an allen Werktagen – außer am Dienstagnachmittag – von 8 bis 16 Uhr geöffnet. Rund 50 Menschen halten sich regelmäßig dort auf. Sie stecken in großen Schwierigkeiten, haben keine Wohnung, sind psychisch oder alkoholkrank oder nehmen Drogen. In der Kava können sie duschen und ihre Wäsche waschen. Sie haben die Möglichkeit, andere Leute zu treffen, das Internet zu nutzen und Zeitungen zu lesen. Auch einen Billardraum gibt es.

Ein Mann spielt Billard
Infomaterial
Kava-Mitarbeitende bedienen einen Mann an der Kaffeetheke.
Behiye Yumusak und Karsten Weishaar reichen einem Gast Kaffee und Brötchen.

Stark nachgefragt sind Getränke und Essen zum Selbstkostenpreis: Eine Tasse Kaffee gibt es für 40 Cent, ein Mittagessen aus der Betheler Bergküche für 2,50 Euro. Wasser und Brühe sind kostenlos. „So günstig bekomme ich das nirgendwo in Bielefeld, außerdem ist es hier warm“, sagt Stanislav. Er kommt fast täglich.

„Wenn jemand zum ersten Mal hier ist, lassen wir ihn in Ruhe“, erklärt Jens Cordes. „Für die meisten ist es wohltuend, dass keiner etwas von ihnen will. Nach ein paar Tagen fragen wir, wie es geht, und sehen, ob ein Gespräch möglich ist.“ Aus ihrer Erfahrung wissen Jens Cordes und sein Kollege Karsten Weishaar: Der niedrigschwellige Ansatz verspricht noch am ehesten Erfolg. Der besteht darin, den Menschen nach einer Kontaktaufnahme weitere Hilfeangebote nahezulegen.

Zum Beispiel die wöchentliche Sprechstunde von Streetmed, der aufsuchenden Gesundheitsfürsorge. Gerade Obdachlose sind gesundheitlich besonderen Härten ausgesetzt. „Menschen, die länger als ein Jahr auf der Straße leben, sind im Schnitt um 20 Jahre vorgealtert“, weiß Uta Braune-Krah von Streetmed. Sie ist Krankenpflegerin, Sozialarbeiterin, Diakonin. Und Brückenbauerin. Denn die Arbeit, die sie mit ihrer Kollegin Sabine Brinkkötter und Medizinerinnen und Medizinern des Ärztlichen Dienstes Bethel leistet, besteht auch darin, Kontakte zu Betroffenen zu knüpfen und zu halten, um deren Bewusstsein für Gesundheit zu schärfen.

„Für die meisten Menschen hier geht es um Wohnen, Essen, Schlafen und Drogen. Da fällt Gesundheit oft hinten rüber“, erzählt sie. Scham wegen ungepflegten Aussehens und mangelnder Hygiene erschwere ihnen den Weg zum Arzt zusätzlich. Umso wichtiger sei es, keine Vorwürfe zu machen, wie: Warum sind Sie nicht schon vor zwei Wochen gekommen? „Wir ermutigen, motivieren und signalisieren Bereitschaft zu helfen“, verdeutlicht Uta Braune-Krah. „Dann ist es an den Menschen, die Angebote anzunehmen. Mehr können wir nicht tun. Es geht nur in kleinen Schritten. Ich finde, das ist eine urdiakonische Arbeit.“

Hinweisschild mit rotem Kreuz
Zwei Männer sitzen vor der Waschmaschine

Dass der Ansatz funktioniert, beweist das Beispiel von Giovanni D’Esposito. Wegen seiner Drogensucht wandte sich seine Familie von ihm ab, er erlernte nie einen Beruf und war zehn Jahre lang obdachlos. Die Kava besucht der 61-Jährige seit 35 Jahren. „Ich bin ein- bis zweimal pro Woche hier“, erzählt er, „ich kenne die Leute, es ist nett.“ So kam er in Kontakt zu weiteren Betheler Hilfeangeboten und zog, als er in seiner Wohnung nicht mehr zurechtkam, in das Unterstützte Wohnen Schillingshof von Bethel im Bielefelder Stadtbezirk Senne. Seit vielen Jahren ist er zudem in einem Methadonprogramm, einer Therapie für langjährige Heroinabhängige. „Ich muss nicht mehr so oft an Heroin denken“, sagt er, „es geht mir ganz gut.“

Fotos: Christian Weische