Menschennah | Geschichten aus Bethel
Als würden seine Hände sprechen
Es ist Donnerstagmorgen, und das Arbeiten in der Kreativen Werkstatt in Lobetal hat begonnen. Heinz-Jürgen Heinze ist gerade eingetroffen. Sein Bezugsbetreuer geht dicht hinter ihm und hält ihn. Nach ein paar Schritten löst sich Heinz-Jürgen Heinze von ihm, tastet sich zum Tisch, dann zum Stuhl und setzt sich. Der Senior ist so gut wie blind.
Sein Arbeitstisch in der Kreativen Werkstatt wurde bereits vorbereitet. Heinz-Jürgen Heinze nimmt die Gegenstände, die vor ihm auf dem Tisch liegen, nacheinander in die Hand und tastet sie ab. Drei Blöcke aus rotbraunem Ton liegen vor ihm. Er zieht eine Holzunterlage zu sich heran, sucht sich aus dem Gefäß vor ihm das passende Werkzeug heraus und beginnt, den Ton zu bearbeiten. Heinz-Jürgen Heinze ist ganz bei sich.
Mit einem Nudelholz glättet der Künstler ein Stück Ton; er überprüft es mit den Fingern, rollt es noch dünner, schneidet anschließend ein Dreieck heraus und formt Kugeln. Es sieht so aus, als würde er direkt aus seinem Innersten, aus der Seele heraus arbeiten, so als würden seine Hände mit dem Material sprechen. Seine Finger sind dabei seine Augen. Sie sind langgliedrig und sensibel. Formen entstehen. Heinz-Jürgen Heinze hat ein genaues Bild von dem, was er gestalten möchte, im Kopf. Wie seine fertige Arbeit auf künftige Betrachter wirken könnte? Das scheint für ihn keine Rolle zu spielen. Nur eines zählt: Was er schafft, ist für ihn Lebensglück. Ist es doch gleichzeitig seine einzigartige Ausdrucksmöglichkeit, über die er auch kommuniziert.
Die ersten Tonarbeiten sind fertig, und die staunenden Blicke der Anwesenden richten sich auf ihn. Heinz-Jürgen Heinze hat ein Verkehrsschild mit einem dazugehörigen Fußgängerüberweg modelliert. Mit Hilfe von Geräuschen und Bewegungen zeigt er, dass seine Arbeit die Sicht eines Autofahrers am Lenkrad darstellen soll. Während alle rätseln, wie er das überhaupt so wahrnehmen konnte, arbeitet der Künstler bereits weiter. Unter seinen geschickten Händen entsteht die Verkehrsampel. Auch die kommentiert der 72-Jährige im Anschluss mit Lauten und Fingerbewegungen, die das Blinken der Ampel darstellen.
Heinz-Jürgen Heinze ist sehbehindert und taub von Geburt an. Er wohnt seit 56 Jahren in Lobetal. Zunächst lebte er in der Wohnstätte Birkenhof, wo er in der Landwirtschaft im Pferdestall beschäftigt war. 1973 zog er um in die Wohnstätte Bethel. Seit 2015 ist er Rentner.
In seiner Freizeit ist Heinz-Jürgen Heinze schon immer künstlerisch tätig gewesen. Er kann auf ein breites Spektrum künstlerischen Schaffens zurückblicken. Seine Arbeiten waren bereits in zahlreichen Ausstellungen zu sehen, so zum Beispiel 1994 beim Bundesbehindertenkongress in Duisburg oder von 2000 bis 2002 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden. Von 2014 bis 2017 hatten seine Werke einen festen Platz in den Wanderausstellungen „Kunst trotz(t) Handicap“ und „Kunst trotz(t) Ausgrenzung“.
Text und Bild: Wolfgang Kern
Diese Geschichte einfach gesprochen
Heinz-Jürgen Heinze ist von Geburt an sehbehindert und taub. Er wohnt seit 56 Jahren in Lobetal. Dort besucht der Rentner regelmäßig die Kreative Werkstatt. Am liebsten arbeitet er mit Ton. Seine Finger sind dabei seine Augen.
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Kreative Werkstatt Lobetal
Bethelweg 4
16321 Bernau bei Berlin
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Die „Kreative Werkstatt“ als Teil des Treffpunktes Teilhabe ist eine Ateliergemeinschaft für Kunstschaffende und Kreative, die aufgrund einer intellektuellen Beeinträchtigung oder psychischen Erkrankung und teilweise mit zusätzlichen körperlichen Einschränkungen in einigen Lebensbereichen Unterstützung benötigen.