Menschennah | Geschichten aus Bethel

Ein Sturz, der alles veränderte

„Ich bin nicht auf den Kopf gefallen“, sagt Antonia von Reden selbstbewusst. Wortwörtlich stimmt es jedoch nicht, denn genau das war passiert in der folgenschweren Partynacht im September 2009: Sie stürzte, schlug mit dem Kopf auf eine Stufe auf und wurde bewusstlos. Ein Freund reagierte augenblicklich und leistete Erste Hilfe. „Bei einer Hirnverletzung zählt jede Sekunde“, weiß die heute 41-Jährige. Der Notarzt brachte die Schwerverletzte in eine neurochirurgische Abteilung im nahe gelegenen Krankenhaus.

Antonia von Reden wurde sofort operiert. Mehrere Eingriffe waren nötig, um Blutungen zu stoppen und Hirndruck abzulassen. Über drei Monate lag sie im Koma. „Mein Körper wurde in den Energiesparmodus versetzt, um sich komplett auf die Heilung zu konzentrieren“, erklärt die gebürtige Lipperin. „Ich war ein Totalschaden.“ Als sie aus dem Koma erwachte, musste sie alles neu lernen: essen, sprechen, gehen. Insgesamt acht Monate wurde sie in Kliniken in Nordhausen und Hamburg behandelt. Ihre Familie und Freunde waren eine starke Stütze.

Antonia von Reden
»Ich möchte mit meiner Geschichte anderen Mut machen.«
Antonia von Reden

„Mir kam nie der Gedanke aufzugeben“, betont Antonia von Reden. „Ich spielte früher Tennis und war schon immer ehrgeizig. Im Sport lernt man zu kämpfen. So bin ich auch meine Genesung angegangen.“ Sie setzte sich Etappenziele und nahm eine Hürde nach der anderen. Während der Reha in Bremen zog sie in eine WG speziell für junge Menschen, in der neben Ergotherapie und neuropsychologischer Behandlung auch Alltags- und Lebenstraining auf dem Programm standen. „Ich wollte stets verstehen, was hinter den Behandlungen steckt und wie ich Therapiemaßnahmen für mich anpassen kann, um weiter motiviert zu bleiben", erklärt die zielstrebige Frau. Ganz gleich, ob beim Praktikum in einem Künstlerstudio oder in ihrer Freizeit – Antonia von Reden entwickelte ihren ganz eigenen Therapieplan, den sie in ihren Alltag integrierte. „Ich habe fünf Jahre Vollgas gegeben.“ Sogar ihr Design-Studium schloss sie im Frühjahr 2015 in Köln ab. Für die Diplomarbeit nutzte sie ihre jüngsten Erfahrungen und entwickelte eine Kampagne, um auf Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen (MeH) in der Öffentlichkeit aufmerksam zu machen.

Antonia von Reden und Nicole Zielke bei Proben in der Theaterwerkstatt Bethel.
Antonia von Reden (l.) und Nicole Zielke proben für einen Auftritt der Performance-Gruppe der Theaterwerkstatt Bethel.

Wieder in ihrer Heimat in Ostwestfalen-Lippe angekommen, nahm ihr Engagement richtig Fahrt auf: Antonia von Reden knüpfte Kontakte mit Fachleuten in Bethel. Als Betroffene wollte sie mitwirken. Die Designerin, die hauptberuflich in einer Tourismus- und Marketingagentur arbeitet, unterstützte beispielsweise ein psychoedukatives Programm für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen, bei dem komplizierte medizinische Fakten verständlich erklärt werden, etwa durch Piktogramme. Außerdem ist sie an dem Modellprojekt für Teilhabe „GUT“, einer Kooperation des Universitätsklinikums OWL und von Bethel, beteiligt und referiert regelmäßig bei MeH-Weiterbildungen und Fachtagungen. Als Mitglied der Performance- Gruppe der Theaterwerkstatt Bethel kennt die engagierte Expertin in eigener Sache das Rampenlicht. Lampenfieber: Fehlanzeige! „Ich habe schon in der Schule in der Theater-AG mitgespielt, und es macht mir immer noch großen Spaß“, schwärmt sie. Gekonnt nutzt sie die Aufmerksamkeit auf der Bühne. „Ich möchte mit meiner Geschichte anderen Mut machen und ein Vorbild sein.“

 

Text: Christina Heitkämper | Bild: Barbara Franke

Diese Geschichte einfach gesprochen

Antonia von Reden stürzte 2009 und verletzte sich schwer am Kopf. Sie musste lange in Kliniken behandelt werden und alles neu lernen: essen, sprechen, gehen. Aber die junge Frau gab nicht auf. Sie machte viele Therapien, um ihre Fähigkeiten zurück zu erlangen. Heute setzt sie sich in verschiedenen Projekten für Menschen mit Behinderungen ein.

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