Menschennah | Geschichten aus Bethel
Golf hilft ihm beim Abschalten
Nur ganz leicht holt er mit dem Schläger aus, ein sanfter Stups bringt den Ball in Bewegung. Wie an einer Schnur gezogen rollt die weiße Kugel über das kurzgemähte Grün, bis sie plötzlich nicht mehr zu sehen ist. Tufan Sirmagül hat eingelocht und freut sich mit einem breiten Lächeln über einen perfekten Putt. Golf ist seine Leidenschaft. Und zugleich wertvoller Ausgleich zu seiner Tätigkeit als Leiter des Hauses Mamre in Bielefeld-Bethel.
„Golfspielen funktioniert nur, wenn man sich auf dem Platz voll darauf einlässt und alle anderen Gedanken wegschiebt“, erzählt Tufan Sirmagül. Genau deshalb hat er sich für diesen Sport entschieden. Beim Golfen schaltet er vom Job ab und genießt Zeit für sich selbst, um anschließend mit frischer Energie an die Arbeit zurückzukehren. 2023 meldete er sich nach einem Schnupperkursus im Bielefelder Golfclub an und erlangte die Platzreife. Inzwischen hat er sein Handicap – eine Kennzahl, die das theoretische und aktuelle Spielpotenzial eines Spielers ausdrückt – von 54 auf unter 30 verbessert. „Ich bin eben sehr ambitioniert“, sagt er fast entschuldigend.
Diese Eigenschaft hilft ihm auch im Haus Mamre. Dort führt der 35-Jährige als einer der jüngsten Betheler Bereichsleiter ein multiprofessionelles Team aus Haupt- und Ehrenamtlichen. Dieses kümmert sich um stark beeinträchtigte Kinder und Jugendliche, die kurz nach Kriegsbeginn aus der Ukraine flüchteten. Die Klientinnen und Klienten gut zu versorgen, den Mitarbeitenden gerecht zu werden, den Laden im Griff zu haben: Das ist anstrengend und geht oft über die Dienstzeit hinaus. „Gerade am Anfang habe ich viel mit nach Hause genommen“, gesteht er, „das Schicksal der Kinder lässt einen ja nicht kalt.“ Eine 18-Loch-Runde kann dann guttun – wobei das Diensthandy auch auf dem Golfplatz eingeschaltet bleibt.
Tufan Sirmagül war für Bethel.regional als Bereichskoordinator tätig, als er das Haus Mamre erstmals besuchte. Vom Leid der plötzlich nach Bethel gekommenen Ukrainer fühlte er sich genauso überfordert wie von den noch nicht vorhandenen Strukturen in dem zuvor leerstehenden Haus. Die Leitung zu übernehmen konnte er sich zunächst nicht vorstellen. Doch es folgte ein Sinneswandel. „Ich habe verstanden, welche Entwicklungsmöglichkeiten es dort gibt“, erzählt er. Inzwischen ist im Haus Mamre viel passiert. Konnte das Motto für die anvertrauten Menschen anfangs nur „satt und sauber“ lauten, umfasst das Angebot längst auch individuelle Förderung. Heute sagt er: „Ich brenne für diesen Job. Meine Motivation besteht darin, den Kindern zu helfen.“
Für seine Tätigkeit holt sich Tufan Sirmagül Unterstützung von einem Coach und Supervisor. Impulse erhält er auch von der Evangelischen Bildungsstätte Bethel. „Ins Nachdenken zu kommen und mir ein Theoriefundament zu bauen hilft mir auch für meine Arbeit“, erzählt er. Weiterbildungen zum Fachberater für psychische Gesundheit und zum Epilepsie-Fachassistenten hatte Tufan Sirmagül schon parallel zum Studium an der Fachhochschule der Diakonie absolviert.
Aufgewachsen in einem muslimischen Elternhaus und bei einer christlichen Tagesmutter, fühlt er sich heute dem christlichen Glauben verbunden. Tufan Sirmagül möchte an der Evangelischen Bildungsstätte weitere Seminare belegen. Er kann sich vorstellen, Diakon zu werden. „Um den Titel geht’s mir aber nicht, sondern um die Inhalte“, betont er. Beim Golf ist es ähnlich. Ein niedriges Handicap zu haben ist schön. Noch wichtiger ist es Tufan Sirmagül aber, in der Sportart eine Oase gefunden zu haben, in der er ganz bei sich sein kann.
Text: Philipp Kreutzer | Bild: Oliver Krato / Matthias Cremer
Diese Geschichte einfach gesprochen
Tufan Sirmagül spielt sehr gern Golf. Er freut sich, wenn der Ball ins Loch rollt. In Bethel leitet Tufan Sirmagül das Haus Mamre. Dort helfen er und seine Kolleginnen und Kollegen kranken Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine. Sie sind vor dem Krieg geflohen. Das ist manchmal eine anstrengende Arbeit. Es ist aber auch eine schöne Arbeit.