Menschennah | Geschichten aus Bethel
„Jeder Tag ist ein Kampf“
„Ich hatte keine Angst, wollte immer ‘raus auf die Straße und war neugierig auf wirklich alles. Diese Kombi war ganz schlecht.“ Thomas Wellenberg, mittlerweile 44 Jahre alt, erinnert sich genau an die Anfänge seiner Drogensucht. Sie zwang ihn durch 18 Entgiftungen und bescherte ihm mehrere Haftstrafen wegen Beschaffungskriminalität.
Thomas Wellenberg sitzt lässig im Jogginganzug und mit Basecap unter einer blühenden Magnolie vor dem Heimathof Ruhr in Hagen, einer sozialtherapeutischen Einrichtung von Bethel.regional. Der Düsseldorfer dreht sich eine Zigarette und erzählt offen von seiner „Drogenkarriere“: mit 11 Jahren das erste Bier, mit 12 der erste Haschisch-Kontakt, mit 13 Amphetamine, mit 15 der erste Heroin-Rausch. „Es ging relativ flott“, resümiert er.
Sein damaliges Wohnviertel, ein „ghettomäßiger“ und „ziemlich verseuchter“ Düsseldorfer Stadtteil, sei nicht förderlich gewesen. Die Erwachsenen in seinem privaten Umfeld schützten ihn nicht – ganz im Gegenteil. „Bei einem Nachbarn habe ich das erste Mal gesehen, wie die sich ein Blech geraucht haben. Und dann war es für mich vorbei. Aber ich war 15, und die waren Anfang 30, und sie haben mir das Heroin gegeben“, so Thomas Wellenberg.
Heroin mache nicht sofort süchtig, zumindest körperlich, erzählt er. „Aber vom Kopf her. Wenn es einem gefällt, ist man besessen.“ Heroin sei ein „Downer“. Es gebe einem das Gefühl von Geborgenheit. „Was einem zu Hause gefehlt hat, ersetzt es. Und das macht es brandgefährlich.“
30 Jahre Heroin-Konsum hätten bei ihm erstaunlicherweise keine erkennbaren Folgeschäden hinterlassen. „Toi, toi, toi“, klopft er auf das Holz der Sitzbank. Aus seinem Umfeld weiß er aber, dass es in der Regel nicht gut ausgeht. Viele Freunde und Bekannte seien gestorben, meistens wegen Herzversagen. Er selbst habe sich regelmäßig über Entgiftungen eine Auszeit geholt, aber nur halbherzig und nicht mit dem Ziel, abstinent zu werden. „Das geschah eher aus Angst zu sterben. Nach drei Wochen ging es direkt weiter.“
2012 unternahm Thomas Wellenberg einen ersten ernsthaften Versuch, mit einer Therapie seine Sucht dauerhaft zu bekämpfen. Leider erfolglos. Vor gut zwei Jahren dann ein neuer Anlauf in einem Rehabilitationszentrum in Warstein. Die dortige Therapeutin habe ihm äußerst erfolgreich den Kopf gewaschen, sagt er.
Im Anschluss wollte Thomas Wellenberg nicht alleine in eine eigene Wohnung. „Das war mir zu gefährlich. Ich brauchte noch eine geeignete Einrichtung für eine Anschlusstherapie“, berichtet er. „Und jetzt bin ich hier, seit acht Monaten. Ein Glücksfall!“
Seit gut zwei Jahren hat Thomas Wellenberg nichts mehr konsumiert. Damit das so bleibe, helfe ihm der geschützte Rahmen im Heimathof Ruhr Hagen, so der Klient. „Hier wird vom Feinsten kontrolliert, vor allem über Urinkontrollen. Das nervt zwar manchmal, aber wir sind ja alle freiwillig und aus eigenem Antrieb hier.“
Mindestens genauso wichtig wie die vorausgesetzte Abstinenz findet Thomas Wellenberg den sozialen Rahmen. „Mir helfen die täglichen Strukturen und Arbeitstherapien, zum Beispiel im Garten. Ich bin hier überall mit dabei, und das macht etwas mit meinem Kopf. Ich stelle fest, dass ich arbeiten kann.“
Thomas Wellenberg macht sich bereits Gedanken über die Zeit nach dem Heimathof Ruhr Hagen. „Ich brauche eine Einrichtung, wo ich noch länger bleiben kann. Ich habe Angst, dass mich eine eigene Wohnung noch überfordert. Hier im Heimathof trainiere ich auch den Alltag, zum Beispiel über die Hauswirtschaftsgruppe.“ Im Blick habe er darum ein weiteres Angebot von Bethel.regional, eine Einrichtung der Eingliederungshilfe in Castrop-Rauxel.
„Ich bin auf keinen Fall stabil“, weiß Thomas Wellenberg. „Jeder Tag ist ein Kampf für mich, auch wenn es leichter wird.“ Diese Selbsteinschätzung sei wertvoll, sagt Bereichsleiter Henning Ebbinghaus. „Wir machen die Erfahrung, dass Klienten, die sich vorsichtiger einschätzen, größere Chancen auf eine erfolgreiche Therapie haben“, sagt er. Das Ziel sei es, dass Thomas Wellenberg Abstinenz irgendwann nicht mehr als täglichen Kampf empfinde.
Thomas Wellenberg sieht sich auf einem guten Weg. „Ich tue das für mich, für meine Gesundheit.“ Vor einem Jahr habe er sich noch gesagt: „Ich möchte 60 werden.“ Mittlerweile sei er bei 70, bemerkt er lachend.
Text: Gunnar Kreutner | Bild: Christian Weische
Diese Geschichte einfach gesprochen
Thomas Wellenberg war seit seiner Jugend drogensüchtig. Viele Jahre hat er versucht davon loszukommen. Jetzt lebt er im Heimathof Ruhr in Hagen. Dort helfen ihm feste Tagesabläufe dabei, auf Drogen zu verzichten. Sein Ziel ist es, gesund zu leben und alt zu werden.
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Heimathof Ruhr
Trappenweg 10
58119 Hagen (Hohenlimburg)
Angebote & Leistungen
Der Heimathof Ruhr mit Standorten in Hagen, Castrop-Rauxel und Gelsenkirchen richtet sich an wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten mit einer Abhängigkeitserkrankung. Die regional orientierte Therapie kombiniert sucht- und sozialtherapeutische sowie sozialarbeiterische Hilfen. Diese sind individuell auf den Bedarf der Klientinnen und Klienten ausgerichtet, die in Zukunft in einer eigenen Wohnung oder in einem Angebot der Eingliederungshilfe leben wollen.