Menschennah | Geschichten aus Bethel
Ausstellung: Einblicke in Kinderleben zur NS-Zeit
Irma – „Unverträglich. Gute Schülerin“
„Sehr zänkisch, schwätzt viel und petzt gern“ – so heißt es in Irmas Patientenakte. Irma litt schon im Säuglingsalter an schweren Krampfanfällen und wurde 1930 mit sieben Jahren nach Bethel gebracht, da ihre Eltern die Erziehung ihrer fünf Geschwister gefährdet sahen. In Bethel diagnostizierte man eine Epilepsie. Irma wurde in Haus Bethsaida aufgenommen, wo sie für mehrere Jahre lebte und die Anstaltsschule besuchte.
In den Einträgen ihrer Akte tauchen immer wieder dieselben Beschreibungen auf. Es scheint, als hätte Irma einerseits ein sehr „lebhaftes, munteres Wesen“ gehabt; andererseits charakterisierte man sie als „zänkisch“, „unverträglich“ und „eigensinnig“. Das beeinträchtigte nicht zuletzt das Zusammenleben mit den anderen Kindern: Sie tanzte ihnen auf der Nase herum, gab ihnen Spitznamen, schlug sie ohne Grund und spielte dauernd Streiche. Die Akte spricht jedoch auch von guten Schulleistungen. Irma las und rechnete gut und gerne und wurde stets in die nächste Klasse versetzt. Sie beteiligte sich rege und war eine fleißige Schülerin, wie an vielen Stellen der Akte bemerkt wurde.
Irmas Akte zeigt ein Stück weit Alltag in einer Anstalt wie Bethel – trotz ihrer Anfälle konnte Irma in Bethel zur Schule gehen, lernte, strickte und häkelte. Im späteren Verlauf ihres Lebens wurde sie zunehmend dement, sodass ihr kognitive Leistungen schwerfielen. Sie lebte bis auf die ersten sieben Jahre ihr gesamtes Leben in Bethel, wo sie 1977 schließlich verstarb.
Heinz – Leben und Sterben in Bethel
Heinz, geboren 1920, wurde im August 1936 in Bethel aufgenommen. Seine Mutter schickte ihn nach Bethel, da sie selbst seine Betreuung nicht mehr leisten konnte. Das lag nicht nur an seinen Krampfanfällen, sondern auch an seiner mangelnden Sprachfähigkeit und der Neigung zu Streichen. Um eine Aufnahme in Bethel zu ermöglichen, gab seine Mutter den Behörden gegenüber schwerere Symptome an, was zu einer Unterbringung im geschlossenen Haus Neu-Ebenezer führte.
Da Heinz als „gemeingefährlich“ und „erbkrank“ klassifiziert wurde, erließ das Erbgesundheitsgericht Bielefeld einen Beschluss zur Zwangssterilisation, die im April 1939 in Bethel durchgeführt wurde. In der Vorbegutachtung im Jahre 1941 wurde Heinz in die Kategorie I eingestuft und war gefährdet, im „Euthanasie“-Programm ermordet zu werden. Das war auch seiner Mutter bewusst, die anbot, Heinz um jeden Preis wieder zu sich zu nehmen, im Wissen um die Ermordung von Kindern in anderen Einrichtungen. Die Sorgen und Mühen der Mutter um ihren Sohn wurden in Bethel als außergewöhnlich wahrgenommen.
Letztendlich konnte Heinz in Bethel aber der „Aktion T4“ entgehen. Der Tod holte ihn trotzdem ein. 1942 nahm er 12 Kilogramm ab, war „[i]m Übrigen aber wohlauf.“ Nach einer Handverletzung in Folge eines epileptischen Anfalls verschlechterte sich sein Zustand jedoch zunehmend. Er hatte Fieber, Furunkel und verweigerte die Nahrungsaufnahme. Im Dezember 1942 verstarb er. Todesursache: „Kreislaufinsuffizienz bei vorgeschrittenem epileptischem Siechtum […]“.
„Im Gedenken der Kinder“ ist der Titel der Wanderausstellung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), die jetzt im Hauptarchiv Bethel in Bielefeld zu sehen ist. Die Ausstellung thematisiert die Verbrechen an Kindern durch Kinderärzte in der Zeit des Nationalsozialismus. Für die Ausstellungszeit bis zum 17. Juni zeigt das Hauptarchiv Bethel zusätzlich die Begleitausstellung „Es war alles Leben was in ihm steckte“. Sie skizziert anhand historischer Akten Lebenswege von Kindern und Jugendlichen in Bethel zu dieser Zeit.
Die Wanderausstellung samt Begleitausstellung ist vom 2. Mai bis zum 17. Juni von montags bis freitags, 9 bis 16 Uhr, im Hauptarchiv Bethel, Bethelplatz 2, 33617 Bielefeld zu sehen. Weitere Informationen zur Ausstellung gibt es online unter www.hauptarchiv-bethel.de
Diese Geschichte einfach gesprochen
Das Hauptarchiv Bethel zeigt eine neue Ausstellung. Es geht um das Leben von Kindern zur Zeit des Nationalsozialismus. Dafür wurde in historische Akten geschaut. Sie erzählen zum Beispiel über das Leben von Irma und Heinz. Beide Kinder haben in Bethel gelebt. Irma ist in Bethel auch zur Schule gegangen.
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