Menschennah | Geschichten aus Bethel

Zuversicht für das, was kommt

Zufrieden schaut Sarah Kühne auf ihr Abschlusszeugnis, das eingerahmt im Wohnzimmer hängt. Der Realschulabschluss im vergangenen Sommer war ein Meilenstein. „Ich habe vor Freude geweint, und meine Mama war sehr stolz“, erinnert sich die 41-Jährige an die Zeugnisvergabe. Damit hätte noch vor zehn Jahren niemand gerechnet, sie selbst am allerwenigsten.

„Emotional instabile Persönlichkeitsstörung“ lautete die Diagnose, die Sarah Kühne mit 14 Jahren in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie bekam. „Ich habe gestritten, gelogen und geklaut. Ich war renitent und aufsässig“, blickt sie zurück. Über das Jugendamt wurde das Mädchen in eine Wohngruppe vermittelt, weil es zuhause mit den Eltern nicht mehr zurechtkam. Ihre Ausbildung zur Kinderpflegerin brach Sarah Kühne im zweiten Jahr ab. „Ich habe mich gegen alles und jeden gesperrt.“ In der ersten eigenen Wohnung sei es dann endgültig bergab gegangen. Damals war sie 18 Jahre alt.

Sarah Kühne realisierte, dass sie so nicht weitermachen konnte und zog in eine Frauenwohngruppe im Haus Afrika in Bielefeld-Bethel, in der sie sich zunächst gut einlebte. Das Problem seien die Nächte gewesen, denn es gab keine Rund-um-die-Uhr- Betreuung. „Nachts ging das Gedankenkarussell los. Dann brauchte ich jemanden zum Reden.“ Eine bessere Alternative schien das Wohnangebot am Saronweg mit einer 24-Stunden-Betreuung zu sein. Borderline-Persönlichkeitsstörung, Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen – ihre psychischen Erkrankungen hatten die junge Frau fest im Griff. Sarah Kühne entwickelte eine Weglauf-Tendenz: „Ich stieg in Züge und fuhr ziellos umher. Plötzlich war ich zum Beispiel in Hamburg und wusste nicht mehr, wie und warum ich in der fremden Stadt gelandet war.“

Ihr psychischer Gesundheitszustand verbesserte sich vermeintlich, als sie eine stationäre Schmerztherapie begann. In einer Klinik wurde sie wegen mehrerer Bandscheibenvorfälle behandelt und bekam Schlaf- und Beruhigungs- sowie Schmerzmittel verabreicht. Mit diesen Medikamenten konnte die Patientin endlich entspannen, schlafen und sich von ihren Ängsten lösen. Der Übergang in die Abhängigkeit war schleichend. „Nach der Entlassung war es einfach, an die Arzneimittel zu gelangen. Ich klapperte verschiedene Ärzte nach und nach ab. Das wurde zu meiner Tagesaufgabe. „Da sie die Dosis immer weiter steigern musste, um die gewünschte Wirkung zu erzielen, gestaltete es sich jedoch zunehmend schwieriger. „Ich hatte Angst, in die Beschaffungskriminalität abzurutschen und suchte mir Hilfe.“ Diese fand die inzwischen 29-Jährige im Antoni-Kepinski-Haus, einem Wohnangebot für Menschen mit Suchterkrankungen in Bielefeld-Eckardtsheim.

„Eckardtsheim war für mich mitten im Nirgendwo“, sagt die Bethel-Klientin schmunzelnd. Aber eben diese Ruhe und Beschaulichkeit hätten ihr gutgetan. Sie war am Wendepunkt angelangt. Endlich ging es bergauf: Sarah Kühne entwickelte Vertrauen zu Mitarbeiterinnen und war bereit, Unterstützung anzunehmen. Sie bewegte sich viel in der Natur, fing das Laufen an und engagierte sich ehrenamtlich. Ein Umzug in eine Wohngemeinschaft mit ambulanter Betreuung war ein wichtiger Schritt in Richtung Selbstständigkeit.

Heute lebt Sarah Kühne mit Hamster „Krümel“ in einer Wohnung in der Stadt und wird intensiv von Bethel betreut. Seit elf Jahren ist sie abstinent. „Es wird mein Leben lang schwierige Phasen geben“, weiß sie. „Aber mit Unterstützung sind diese gut händelbar.“ Aus diesem Grund hat sie weiterhin regelmäßig Termine in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Evangelischen Klinikum Bethel, deren Angebote sie bereits in schweren Krisen mehrfach angenommen hat.

Im nächsten Monat startet ihr Abitur-Kurs. In welche berufliche Richtung es danach gehen soll, weiß die 41-Jährige schon: „Ich möchte Soziale Arbeit studieren.“ Sie habe in ihrem Leben sehr viel Hilfe bekommen, für die sie dankbar sei. Zukünftig will Sarah Kühne für Menschen da sein, die Unterstützung benötigen.

Text: Christina Heitkämper | Bild: Matthias Cremer

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Sarah Kühne ist psychisch krank. Mit 14 Jahren bekam sie die Diagnose. Die 41-Jährige durchlebte schwierige Phasen. Sie wurde medikamentenabhängig. In Bethel bekam sie Hilfe. Heute lebt sie abstinent und wird in ihrer Wohnung betreut. Bald startet ihr Abi-Kurs. Ihr Ziel: Soziale Arbeit studieren.

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