Menschennah | Geschichten aus Bethel
Sie hat sich zurückgekämpft
Entschlossen umfasst Susanne Boestfleisch die Griffe ihres Rollators, schaut kurz hoch und macht sich mit ihrer Gehhilfe schnellen Schrittes auf den Weg in die Gemeinschaftsküche im Betheler Haus Grünrockstraße in Hagen. Dass die 59-Jährige überhaupt wieder in der Lage ist, aufrecht zu gehen und sich eigenständig etwas zu kochen, grenzt nach ihrem Schicksalsschlag vor über elf Jahren an ein Wunder.
Damals stand die angesehene Mitarbeiterin einer Rechtsanwaltspraxis mitten im Leben, als sie im Urlaub einen schweren Schlaganfall erlitt und ihr Gehirn anschließend nichts mehr von ihrer rechten Körperhälfte wusste. Nach einem kurzen Aufenthalt in einem Altenheim kam sie 2013 in die Bethel-Einrichtung für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen. Dank hoher Spendenbereitschaft vom Arbeitgeber, von Freunden und der Familie konnte Susanne Boestfleisch zwei Jahre lang mehrmals pro Woche zum Ambulanticum Herdecke gefahren werden und dort hochmoderne Therapiemöglichkeiten in Anspruch nehmen. Mithilfe des robotergestützten Gangtrainers hat sie das Gehen wieder erlernt – und sich auf beeindruckende Art und Weise ins Leben zurückgekämpft.
Mit vielen Stunden Logopädie, Physio- und Ergotherapie, guter Betreuung sowie einem unbändigen Willen hat die Patientin gezeigt, was trotz eines schweren Schlaganfalls möglich ist: „Die Fortschritte, die sie gemacht hat, sind schon außergewöhnlich, das habe ich bei einer Klientin so noch nicht erlebt“, zeigt sich Einrichtungsleiter Karsten Raue beeindruckt. „Früher hatten wir große Probleme, sie zu verstehen. Mittlerweile kann sie nicht nur besser laufen, sondern redet auch viel mehr, sodass wir besser mitbekommen, was sie möchte“, ergänzt Pflegerin Nadia El Hachimi.
Mittlerweile lebt Susanne Boestfleisch wieder ziemlich selbstbestimmt und braucht für vieles keine Unterstützung mehr: „Sie duscht selbstständig und weiß genau, wann sie welche Medikamente einnehmen muss“, erklärt Nadia El Hachimi. „Und wenn Susanne neue Bettwäsche oder Schuhe haben möchte, dann sucht sie sich die online aus, und wir helfen ihr nur noch bei der Kaufabwicklung.“
Zur Rehabilitation haben neben den einfühlsamen Mitarbeitenden auch die vielfältigen Angebote im Haus Grünrockstraße beigetragen. Wenn sich Susanne Boestfleisch gut fühlt, nimmt sie fast täglich an den Tagesstrukturierenden Angeboten im Haus teil. Besonders gerne lebt sie ihre Kreativität in den Mal- und Zeichenkursen aus. Die meisten Ergebnisse ihrer künstlerischen Begabung hängt die Klientin im Anschluss in ihrem Zimmer auf. Direkt neben ihren Bildern finden sich häufig Gegenstände ihrer zweiten großen Leidenschaft: Tiere – mal als Motive auf dem Kalender, mal in Form eines hölzernen Zebras auf dem Sideboard oder als Gekko-Modell an der Wand.
Bei ihrer Rehabilitation kann Susanne Boestfleisch auf zwei große Rückhalte zählen: ihre beiden Freundinnen, die sie über die ganzen Jahre unterstützt haben und mehrmals im Monat zu Besuch kommen. Gemeinsam gehen sie ins Eiscafé, spielen ihr Lieblingsspiel „Rummikub“ oder sitzen einfach nur bei einem frisch gekochten Kaffee zusammen.
Und wenn sich Susanne Boestfleisch einmal Zeit für sich nimmt, dann legt sie am liebsten eine ihrer CDs von Udo Lindenberg, Pur oder Silbermond ein, schließt die Augen und drückt genüsslich auf „Play“. Gedanken aus, Musik an.
Text: Simon Steinberg | Bild: Thorsten Ulonska
Diese Geschichte einfach gesprochen
Susanne Boestfleisch erlitt einen schweren Schlaganfall. Dabei wurde ihr Gehirn geschädigt. Seit 2013 lebt sie in einer Bethel-Einrichtung für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen in Hagen. Mit Physio- und Sprachtherapie machte sie große Fortschritte. Susanne Boestfleisch fühlt sich in dem Haus wohl. Sie malt und spielt gerne.
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Kontakt
Bethel.regional
Haus Grünrockstraße
Grünrockstr. 6
58119 Hagen-Hohenlimburg
Angebote & Leistungen
Im Haus Grünrockstraße werden erwachsene Menschen mit geistigen und komplexen Behinderungen und Epilepsie sowie mit erworbenen Hirnschädigungen unterstützt. Zum Angebot gehören neben Assistenz und Förderung auch lebenspraktisches Training, Tages- und Freizeitgestaltung. Die Einrichtung bietet individuellen Wohnraum für 24 Personen.